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Nachbarn

Letzthin sah ich im Schweizer Fernsehen eine Sendung über Nachbarschaftsprobleme. Probleme von dermassen schwerwiegender Natur, dass sie vor Gericht gelöst werden mussten. Ja, es gibt Erdenbürger, die bekriegen sich richtiggehend. Da wird gedroht und auf unschuldige Kühe geht man mit geladener Pistole los. Die Sendung wurde im Mai ausgestrahlt, vielleicht war es auch April, bin mir nicht mehr sicher.

Ich hatte es beinahe vergessen, da sauste mir letzthin ein Gedanke durch den Kopf: Wie lebt man, wenn man mit dem Nachbarn streitet und wie lebt es sich, wenn man mit seinem Nachbarn vor Gericht stand? Schliesslich sind es immer noch Nachbarn, die fahren neben dem Haus vorbei, man begegnet sich vielleicht beim Briefkasten, man weilt im Garten, wenn der Nachbar auch im Garten ist. Ich gehe mal davon aus, dass im Kriegszustand nicht mehr geredet wird, die Freundlichkeiten sind im wahrsten Sinne des Wortes auf Eis gelegt. Mich würde das ja ungemein stressen, immer den Kopf zu drehen, nur um meinem Nachbarn nicht in die Augen sehen zu müssen. Oder mir den Blicken meiner Nachbarn bewusst zu sein, wenn ich eine Gartenparty veranstalte und ich dabei die Gewissheit habe, dass um 22.01 Uhr die Polizei vor der Türe steht, wegen angeblicher Lärmbelästigung. Der Grund, weshalb mir die Sendung wieder in den Sinn gekommen ist?

Ich bin meinem Nachbarn in der Einstellgarage ins Hinterteil seines Autos gefahren. Jawohl. Also ich habe ihn einfach ein bisschen «gstüpft», nicht tragisch, aber ich bin natürlich schuldig. Ja, der Nachbar ist aus seinem Auto gestiegen und dann ging das Theater los. Der tobte und bediente sich der Fäkalsprache, als wäre ich mit dem Caterpillar über seinen Rolls Royce gefahren. Seine spiessige Familienkutsche hat eine dämliche Anhängerkupplung und Müller ist natürlich korrekt eingemittet da rein gefahren. Volltreffer. Was ich nicht wusste: Mein Nachbar verfügt über die Fähigkeit, das SCH-Wort in gefühlten hundert Varianten zu fluchen. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, unser Auto hat wahrscheinlich den grösseren Schaden genommen als seine Anhängerkupplung. Aber zurück zum Tatort. Ich habe meinem Nachbarn meine Visitenkarte gegeben und ihm das Übliche gesagt. Zu meinem Erstaunen blieb ich immer noch höflich und lauschte ausgiebig den lehrreichen Varianten des SCH-Wortes. Dann wurde es mir aber doch zu bunt und ich habe ihm gesagt (grediuse, Sie wissen), es reiche jetzt. Wutentbrannt setzte er sich in seine Kutsche und brauste davon. Voilà. Ich bin am gleichen Tag in die Ferien gefahren. Und dann kreisten meine Gedanken nicht um eine allfällige, saftige Rechnung, sondern mich beschäftigte der Moment, wenn ich meinem Nachbarn wieder begegne. Ich weiss nämlich nicht einmal, wie er heisst. Er hat ja nur von SCH*** gesprochen.

Als ich von meinen Ferien zurückgekommen bin, mein Auto in der Einstellhalle parkiert habe, wer fährt auch auf seinen Parkplatz? Richtig. Bekanntlich ist Angriff immer die beste Verteidigung. Sich den Situationen stellen und in den sauren Apfel beissen, koste es was es wolle. Ich wartete, bis mein Nachbar ausgestiegen ist. Er hat sich jede Menge Zeit gelassen, aber er hatte mich im Visier und ich ihn. Tädämmm… Es fehlte nur noch die Mundharmonika aus dem Western «Spiel mir das Lied vom Tod». Nachbar steigt aus seinem Auto – ich bleibe stehen – Nachbar nähert sich. Ich grüsse, er auch. Und dann frage ich freundlich: «Alles ok mit Ihrem Auto?» Nachbar lächelt verlegen (HUCH, ER LÄCHELT!) und sagt: «Ja, ja, kein Problem, alles in Ordnung». Und für eine solch einfache Unterhaltung dieses Vorspiel.

Ich könnte es nicht: Ich würde es nicht aushalten, in einem dämlichen Nachbarkleinkriegsklima zu leben. Sei es wegen einem Apfelbaum, einem Güggel, Kühen, Fichtennadeln, die ins Swimmingpool fliegen und, und, und. Da fahre ich lieber ins Autofüdli meines Nachbarn, lerne noch ein paar ordentliche Flüche und gut ist.

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