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Handy im Alter

Um es gleich vorwegzunehmen: Ich werde leicht nervös, wenn ich mein Handy nicht dabeihabe. Und ich stehe dazu, ich hänge ehrlich gesagt (zu) viel am Handy. Sei es im Tram, im Zug, in den Ferien, bei der Arbeit, im Restaurant, ja selbst manchmal beim Fussballmatch oder vor dem TV. Meine Mutter straft uns Müller-Kinder mit einem vernichtenden Blick, wenn wir das Ding (sie nennt es so) in die Hand nehmen. Sie findet es schlicht unanständig. Dann eben nicht.


Ich habe letzthin gelesen, wie viel Zeit die jungen Menschen mit dem Handy verbringen und welche Schäden sie davontragen würden und überhaupt und so. Ja, wahrscheinlich ist es als Eltern wirklich schwierig, den richtigen Umgang mit diesen Teufelsdingern und den Kindern zu finden. Ich beneide sie nicht, weder die Kinder noch die Eltern. Und ich ignoriere übrigens meine Bildschirmzeit, die mir immer montags eingeblendet wird.


Letzthin ging ich mit Freundinnen an einem Samstagabend wieder einmal auswärts essen. Wir waren in einem wunderbaren Landgasthof und sassen in der Gaststube. Wenn Landgasthof, dann bitte auf jeden Fall Gaststube und nicht Sääli. Ich bin nicht der Säälityp, schon nur wegen dem Namen nicht. Wir waren etwas früh, weil wir vorher einen Weihnachtsmärit besucht haben. Umso mehr genossen wir einen richtig feinen Apéro und schauten dem vorabendlichen Treiben zu. Dann um 18 Uhr, der 4er Tisch mit Seniorinnen. Etwas, das ich nie so ganz verstehe, ist das laute Vorlesen der Speisekarte und das hat nichts mit dem Alter zu tun, denn alle hatten ihre Lesebrille auf der Nase. Leute, die hatten den Apéro noch nicht auf dem Tisch, da zückte Seniorin A schon ihr Handy und zeigte ihren Mitesserinnen Fotos. Alle Seniorinnen, also von A bis D, hatten ihr Handy griffbereit auf dem Tisch. Ich muss nicht erwähnen, dass weder der Klingelton noch der Mitteilungston ausgeschaltet waren. Und dann ging das munter hin und her und selbst während dem Essen wurde getippt und die SMS vorgelesen. Neben uns ein Paar, ebenfalls älteren Jahrgangs, mit den Handys auf dem Tisch. Während dem Essen, bekam die Gattin einen Anruf, ebenfalls nicht auf lautlos gestellt, dafür mit einem melodiösen Klingelton. Seelenruhig wurde während dem Essen telefoniert. Den Göttergatten störte es offenbar nicht, er drückte derweil auf seinem Handy rum und murmelte einen Gruss für die Michelle.


Noch vor nicht allzu langer Zeit, sass ich zum Lunch mit einer Kollegin in einem Restaurant im schicken Kirchenfeldquartier. Wir haben uns erst um 13 Uhr getroffen. Die Gaststube, bzw. in Bern sagt man natürlich «das Bistro», leerte sich so gegen 14 Uhr. Bald waren wir fast alleine im Bistro, da schwang die Türe auf und drei Damen setzten sich neben uns. Es war ihr Tisch, unverkennbar, das Réservé-Schild wurde bereits um 13:30 Uhr hingestellt. Es wurde Tee bestellt und die Breakingnews ausgetauscht. Das Evi ist an der Tramhaltstelle am Hirschengraben gestürzt. Auf einmal sagte Lady A zu den anderen, wo denn Lady D sei. Worauf Lady B ihr Handy aus dem schicken Täschchen fischte und Lady D anrief. Daraus wurde eine Telefonkonferenz, aber ohne Verbindung der Ladys B und C, weil, die brüllten einfach über den Tisch. Und da Lady A wahrscheinlich nichts mehr verstand, brüllte sie auch ins Handy und Lady D brüllte zurück, ohne auf Lautsprecher zu sein, aber wir haben wirklich alles verstanden. Lady D fehlte, weil sie noch staubsaugen musste und ca. 15 Minuten später erschien Lady D – schick gekleidet in einem sehr schnittigen Mantel und mit Lippenstift, halt so, wie es sich für eine Maman aus dem Kirchenfeldquartier gehört. Dann aber drehte sie sich um und sie hatte einen verräterischen Abdruck am Hinterkopf – so, wie man eben einen Abdruck bekommt, wenn man auf dem Kissen liegt. Während die anderen Frauen auf Lady D warteten, haben sie übrigens noch kurz Lady B’s Combox eingerichtet und nebenbei Vermicelles bestellt. Mit Nidle und Meringues und Glace. Wenn schon – denn schon.


So geht das, mit viel Nidle und Glace und noch die Combox dazu.

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