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Die Klassiker

Egal ob Skirennen, Getränke, Essen oder Kleider – ich mag die Klassiker, also meine selbsternannten Klassiker. Und das geht so. Immer wenn ich einen Klassiker sehe und diesen Klassiker schon lange nicht mehr hatte, dann muss ich ihn haben. Und dann drückt da ein bisschen der Stadt-Land-Graben durch, diesen Bruch erlebe ich mit den Klassikern. Wenn tout le monde diesen knallorangen Apéro in der Vase vor sich stehen haben, bevorzuge ich die Klassiker. Einen Campari Soda, einen Cynar Orange oder einen Pastis. Aber nicht einen Campari Amalfi oder einen Ginny oder so, nein, nein, klassisch bitte. Bestellt mal in der Stadt in einem Hipsterladen einen Cynar Orange – unfassbar köstlich, die Reaktion. Augenbrauen werden hochgezogen, wie ihre Jeans, die sie tragen, die Augenäpfel gehen nach vorne, wie bei einem Donald Duck Comic und dann Kopf schräg halten und die Frage: «Einen WAS bitte?», und dies noch in einer höheren Stimmlage, damit auch die ganze Terrasse weiss, dass hier so eine alte Apéroschachtel sitzt. Mir gliich.

Ich habe es nicht so mit Desserts. Aber manchmal auf einer Velotour auf einer Landgasthofterrasse, mitten am Nachmittag, muss ich einen Coupe bestellen. Aber einen klassischen Coupe. Dänemark, Hot Berry, Bananensplit, Eiskaffee und Co. und nichts Halbgefrorenes oder lauwarme Schokolade, die dann aus dem luftigen Kuchen fliesst oder Cupcakes, die aussehen wie Kopfkissen im Barbiecamper. Nein, eben einen klassischen Coupe und schon nur der Name zaubert mir nämlich etwas auf das Gesicht – Kindheitserinnerungen.


Meine Cousine und ich waren mit unseren Müttern bei einer Tante zu Besuch, die eigentlich gar nicht unsere Tante war, sondern auch die Cousine unserer Mütter. Tante Erna. Bei Tante Erna war es für uns Kinder ein Paradies, die Mütter tranken im Wohnzimmer Tee und Tante Erna war Tourist Office Managerin vom Verkehrsbüro St. Stephan. Meine Cousine und ich durften uns im Tourist Office vertörlen. Natürlich übernahm ich, selbstlos wie ich bin, das Management. Meine Cousine musste immer wieder eine neue Rolle erfinden, wenn sie mich dann im TO besuchte. Eines müsst ihr wissen, Tante Erna (heute 92 Jahre alt) war sowas von cool und ist es im Übrigen heute noch. Sie liess uns einfach schalten und walten und dies im TO St. Stephan an ihrem Schreibtisch.

Und dann kam der Moment, in dem wir so richtig Durst hatten, schliesslich plapperte es ununterbrochen. Wir gingen zu unseren Müttern und Tante Erna und fragten nach Rivella. Weil bei Tante Erna gab es für uns Kinder Rivella und nicht Wasser oder ungezuckerten Tee. Und Rivella aus der Originalflasche, die sei in der Küche. Da stand sie die Flasche, auf der Küchenablage und weil der Moment so goldig war, haben wir beschlossen direkt von der Flasche zu trinken. Schliesslich tagte das Erziehungsregime im Wohnzimmer. Und dann, dann passierte es… ich nahm die Flasche, meine Cousine neben mir, ich setzte an und konnte es kaum erwarten. Und es brannte wie Feuer und war grässlich und ich bekam kaum mehr Luft und wahrscheinlich war mein Gesichtsausdruck wie jener der Hipsterin, wenn ich einen Cynar Orange bestelle, nur noch schlimmer. Die Tränen schossen mir in die Augen und flugs waren sie da, die Mütter und Tante Erna und alle kreischten. In der Flasche war nicht Rivella, in der Flasche war Bätzi, selbstgebrannt und gut getarnt in der braunen Rivellaflasche. Und beim genaueren Hinsehen stand es da, halb auf dem Etikett, «Bätzi», aber da war es schon zu spät.


Rivella trinke ich heute nicht mehr, weil ich es irgendwie nicht mehr so gerne habe. Und wenn ich mal so in meine Kindheit abdrifte, dann fahre ich zu einem Kiosk und kaufe ein eiskaltes Pepita, stütze die Flasche noch am Kiosk an und trinke das Ding EX. Nicht light, sondern klassisch süss und im Wissen, in spätestens einer Stunde hast du ein grauenhaftes Magenbrennen. Und für die, die nicht wissen, was Pepita ist: Es ist ein Grapefruit mit einem Papagei auf dem Etikett, die Flasche ist im übrigen weiss.


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