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Mit dem roten Telefon ins Berufsglück

Jedes Mal, wenn ich mit dem Tram vorbeifahre, frage ich mich, wie man bloss hier arbeiten kann. Nein, die Rede ist nicht vom Tramchauffeur, sondern in diesem Kabäuschen für den Botschaftsschutz. Was ist das bitte für eine Herausforderung? Ok, jemand muss es tun, in voller Montur mit Waffe im Anschlag vor einem 1m2-Häuschen stehen und grimmig alles checken, was durchfährt. Im Winter notabene IM 1m2 -Häuschen.

Es gibt noch andere berufliche Tätigkeiten, die mich auf eine spezielle Art und Weise faszinieren. Zum Beispiel Parkkarten kontrollieren. Oder Gebäude in der Nacht überwachen, oder Archivar oder Supervisor der Kinokasse. M-hm, die Kinokasse ist im Netflix-Zeitalter wahrscheinlich vom Aussterben bedroht. Was ich hingegen super finde, sind so Dinge wie Bademeister, Kommissarin der Mordkommission, Hochzeitsplaner oder Fischer. Ich wage hier zu behaupten, Fischer ist einer der wirklich härtesten Berufe, die es gibt. Wind, Wetter, Kälte, Nässe, Hitze, Gestank – alles übel irgendwie.

Mein Neffe steht vor der Berufswahl und ich finde diesen Prozess extrem spannend. Schnupperlehren und und und. Da läuft mein Gedächtniskino auf Hochtouren. Als Kind wollte ich immer Krankenschwester werden, nur aus einem Grund: Meine Cousine wollte auch Krankenschwester werden. Und meine Cousine zog das fadengerade durch, aber ich nicht. Weil ich dann doch davon abgekommen bin und mal so unter uns… ich als Krankenschwester? Nicht wirklich, oder? Dann strebte ich eine Postkarriere an, weil ein Verwandter von uns als Posthalter tätig war und ich fand das schon sehr cool. Ich durfte schon als Minitina auf der Post Boltigen stempeln. Das war vielleicht eine Erfahrung und ein für mich unglaublicher Höhenflug. Diese Kisten und alles so schön versorgt und ordentlich und der Schalter und all die Leute – ich war im höchsten Grad fasziniert! Nach dieser Erfahrung, ich war vielleicht acht Jahre alt, wünschte ich mir von meinem Götti ein Telefon zu Weihnachten. Ich bekam ein rotes Telefon mit weisser Wählscheibe. Also das war einfach unglaublich, ich hatte nun ein Telefon und ich war wirklich aus dem Häuschen. Bei uns zu Hause im Korridor stand eine Kommode, eine sehr schöne Kommode und diese Kommode wurde nun zu meinem neuen Tätigkeitsfeld, nämlich zu einer Hotelréception. Jaja und dann nahm die Geschichte ihren Lauf. Stundenlang führte ich in Einzelregie Arrivées und Départs durch und dies mit einer unermüdlichen Leidenschaft. Und das Telefon klingelte ununterbrochen und ich war ja so im Element. Eine meiner Schnupperlehren absolvierte ich übrigens im Verkehrsbüro in Zweisimmen, wo ich fünf Tage lang Prospekte falten musste. Zwei Mal am Tag musste ich in die gegenüberliegende Krone, Kaffee holen – über die Strasse. Das war mein Highlight, denn da wusste ich es mit der allergrössten Bestimmtheit: Verkehrsbüro? Nein, aber Gastronomie – JA! Auch eine Art der Entscheidungshilfe.

Auch verbrachte ich Stunden neben meiner Mutter im Büro. Meine Mutter führte die Buchhaltung für den elterlichen Betrieb, neben ihr die Olivetti Rechnungsmaschine in petrolgrün, natürlich mit meterlangem Streifen. Fasziniert beobachtete ich meine Mutter, wie sie mit ihren Händen flink und blind über die Tasten fuhr und die Zahlen ratterten vor sich hin. Manchmal gesellte sich mein Bruder Alexander dazu, dann spielten wir Büro und das ging so: Alex war der Chef und ich seine Sekretärin. Den Umstand, dass Alex immer Chef sein wollte und ich zum Diktat antanzen musste, mochte ich nicht so. Oder ich musste für ihn und seine imaginären Kunden Kaffee kochen. Hatte mir auch das Krone-Erlebnis die Augen geöffnet, so war dann diese Kaffeekocherei auf Knopfdruck doch nicht so mein Ding, also verzog ich mich wieder an meine Réception, schliesslich war ich da selber Chef und hatte mein eigenes Telefon.

Und heute? Offenbar ist das Telefon wirklich ein wichtiger und unverzichtbarer Bestandteil meines Berufslebens – verbunden mit der Welt – mit Menschen in Kontakt sein und nicht Prospekte falten. Die Kommode steht übrigens immer noch bei Mutter im Korridor. Ohne rotes Telefon, wie man sich vorstellen kann. Aber wenn ich zu Besuch im Oberland bin und mir eine Etage tiefer Bruder Alex einen Kaffee serviert, dann, ja dann schwelge ich mit einem Lächeln auf den Lippen in der Vergangenheit und heute weiss ich – alles kommt gut.

Möge dir, lieber Neffe, ein Wink mit dem Telefonmast den Weg zu deinem beruflichen Glück ebenso klar aufzeigen.

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