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Die W-Fragen?

Kennt ihr die W-Fragen? Sehr beliebt bei Kindern und sehr beliebt bei Eltern, wenn sie in der fröhlichen Runde unter der Rubrik «Unsere Kinder haben ...» erzählen. Und bei diesen Erzählungen wird mit steigendem Alkoholpegel die Peinlichkeit noch ein bisschen hochgeschraubt. Und das Empfinden kinderfreier (dem sagt man heute so) Menschen, wie ich einer bin, dann so:

«Wir waren in der Badi und dann hat XY in grosser Lautstärke gefragt: Mami, warum ist diese Frau so dick?» Erster Lacher. Dann weiter: «Ich habe dann so getan, als hätte ich es nicht gehört, aber XY hat nachgefragt und ich musste dann eindringlich und flüsternd sagen, XY sowas sagt man nicht so laut.» Zweiter Lacher. «Und dann», so die Mutter, «fragt XY natürlich: Warum darf ich das nicht laut sagen?» Vierter und letzter Lacher.


Lustig, oder?

Ich bin mir nicht sicher, ob es die Frau, die mit dick gemeint war, auch so lustig fand. Sie muss sich wahrscheinlich die W-Frage nicht stellen ausser: Warum bin ich bloss so empfindlich oder warum gehe ich in die Badi.


Und als kinderfreier Mensch kann ich es ja auch nicht verstehen, denn so sind Kinder halt.

Als wir noch Kinder waren, fuhren wir manchmal nach Bern zum Lädele, meist an einem Mittwochnachmittag, wenn schulfrei war. Dann startete Mutter Müller den knallorangen Renault 5 (dieses Modell feiert in diesem Jahr sein Revival) und meist fuhr noch Tante Erna mit. Wenn man vom Berner Oberland Richtung Bern fährt, zeichnet sich die Skyline von Wittigkofen ab. Als Bergkinder hatten wir dann das Gefühl, wir fahren direkt durch Manhattan, die Mäuler offen und voller Ehrfurcht. Parkiert wurde immer, ich schreibe IMMER, im Marzili, weil Mutter Müller das so gewohnt war. Dort gab es nämlich gerade Parkplätze, man fuhr dann mit dem Marzilibähnli praktisch direkt in den LOEB. Ich war an diesem Tag nicht dabei, aber meine Mutter und auch Tante Erna erzählen diese Geschichte immer wieder. Bruder Reto (Nr. 2), wahrscheinlich in einem sehr zarten Alter und sicherlich erschlagen vom Stadtbetrieb, stand also mit Mutter und Tante Erna vor dem Loeb; die Frauen schauten sich die Schaufenster an und liessen sich inspirieren vom Stadtchic. Der Stadtchic ist heute wahrscheinlich das Pendant zum Alpinchic. Item, auf einmal stupste Tante Erna meine Mutter an und nickte mit dem Kopf in Richtung Reto. Der nämlich kniete mittlerweile vor dem Loeb, hielt den Kopf geneigt und schaute der Schaufensterpuppe unter den Rock.

Und vor lauter Herrjesses, vergass wahrscheinlich mein Bruder die W-Frage, denn der Tathergang sprach Bände.


Je länger desto mehr greife ich zur W-Frage. Sie ist nämlich sehr direkt und lässt nicht viel Raum offen. Kürzlich sagte bei einem Apéro ein Nicht-Lieblingsmensch zu mir. «Du, den YZ finde ich cool.» Ich finde YZ nicht cool und dann bediente ich mich auch der W-Frage. Ich fragte den Nicht-Lieblingsmenschen: «Warum findest du YZ cool?» Der NL (nicht Lieblingsmensch) schaute mich ganz verwundert an und überlegte. Dann, das muss ich dem NL zugestehen, war er ehrlich, denn er sagte: «Ich weiss es eigentlich nicht.»



Und vielleicht wissen wir manchmal nicht, warum wir die W-Frage nicht öfters stellen oder warum wir die W-Frage öfters stellen sollten. Beim nächsten Besuch in Zweisimmen werde ich Bruder Reto mal die W-Frage zur Schaufensterpuppe stellen.


Noch eine W-Frage?

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